„Wenn die Zeit knapp ist“ – das lässt sich wohl auch über manches Coaching sagen. Schon ist die Sitzung vorbei, der Prozess beendet, das Budget ausgeschöpft. Da klingt der Ansatz des Buches verheißungsvoll: Single-Session. Hat da jemand endlich das Rezept gefunden, wie Beratung effektiv genutzt werden kann?
Die Lektüre der knapp 300 Seiten ist jedenfalls nicht „mal eben“ erledigt. Aber für das ansprechend lektorierte, gut gegliederte Buch nimmt man sich gerne Zeit – weil es inhaltlich reizvoll ist.
Mit dem Werk wird erstmals US-amerikanische Originalliteratur zum Single-Session-Ansatz umfassend auf Deutsch publiziert. Es richtet sich vor allem an Therapeuten – familientherapeutisches Setting und klinische Perspektiven haben die Oberhand. Aber die abgedruckten Fallbeispiele und die Beschreibung von konkretem Vorgehen lassen sich auf die Coaching-Praxis übertragen, vor allem die sehr gut erschließbaren ersten beiden Teile („Einführung“ und „Orientierung“).
Der Single-Session-Ansatz entstand in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts innerhalb der zweiten psychopraktisch arbeitenden Generation nach Sigmund Freud. Das, was der Ansatz erreichen möchte, ist der lösungsorientierten Kurzzeittherapie von Steve de Shazer ähnlich und entspringt dem Interesse (und auch den finanziellen Beschränkungen), das Verhältnis von Zeit und Wirkung effizienter zu gestalten.
Entgegen der Vermutung, „Single-Session“ bedeutet, dass man nur eine Sitzung hat, steht eine überraschende Wendung: „Die Essenz des Single-Session-Ansatzes […] besteht darin, an jede Therapiesitzung so heranzugehen, als sei es die einzige, die jemals stattfinden wird.“ (S. 15) Möglicherweise besteht also gar keine zeitliche Beschränkung. Aber davon auszugehen, dass es nur diesen einen einzigen Kontakt gibt, ist methodisches Konzept und dient der Fokussierung. „Sind Klienten, die zu uns kommen, […] darauf vorbereitet, die eine beabsichtigte Sitzung bestmöglich zu nutzen, kann sich das sehr positiv auf das Ergebnis auswirken, insbesondere wenn ihnen klar ist, dass sie die Arbeit auf Wunsch später fortsetzen können.“ (S. 55)
Die beschriebenen Fallbeispiele exemplifizieren im Buch die positive Bedeutung dieses Ansatzes. Eine dezidiert kritische Reflexion bleibt aus. Jedoch wird der Single-Session-Ansatz auch nicht als „Wundermittel“ verkauft, sondern kontextualisiert, woraus sich Anwendungsmöglichkeiten ergeben – und andere eben nicht.
Das ist angenehm, und von hier aus lässt sich auch nach der Bedeutung für das Coaching fragen. Benannt sei zum einen die Bedeutung der Geisteshaltung, im Buch die des Therapeuten, aber übertragbar auf die des Coachs. „Welche Entscheidungen hinsichtlich Ihres Denkens und Ihrer Praxis werden Sie treffen, um die Wahrscheinlichkeit zu vergrößern, dass weniger Sitzungen (oder sogar nur eine einzige) das gewünschte Resultat erzielen werden?“ (S. 111) Zum zweiten ist das Vorgehen des „Walk-In“ interessant: Offene Sprechstunden, zu denen man einfach kommen kann und die, so die Überzeugung, im überlasteten psychotherapeutischen Markt häufig mehr als nur ein Notnagel, sondern bedeutsame Hilfe sind. Das ist konzeptionell etwas zu einfach, aber der Sinn offener Coaching-Sprechstunden, z.B. von Inhouse-Coaches in Organisationen, sei umgekehrt auch nicht unterschätzt.
Fazit: Aufgrund der therapeutischen Ausrichtung vielleicht kein Buch für das Coaching-Bücherregal, aber die fokussierte Herangehensweise des Single-Session-Ansatzes ist allemal interessant für die eigene Coaching-Haltung und -Praxis.
Jan-Christoph Horn