Im Sommer habe ich mit meiner Freundin eine Reise nach Ostdeutschland unternommen, um ihr Orte meiner Kindheit zu zeigen. Unter anderem waren wir in Leipzig und haben uns im Forum eine Ausstellung zum Leben in der DDR angesehen. Vieles habe ich wiedererkannt und stand unvermittelt mit beiden Beinen in meiner Kindheit. Der Besuch hat dafür gesorgt, dass ich mich frage, inwiefern mich die damalige Gesellschaft und der dort herrschende Konformitätsdruck geprägt haben. Annelen Collatz und Karin Gudat wollen mit den 120 Karten für Beratung, Coaching und Therapie „Negative Glaubenssätze aufspüren und verändern“. Ob das auch mit einer sozialistischen Kindheit klappt?
Die studierte Wirtschafts- und Arbeitspsychologin Annelen Collatz hat zur Persönlichkeit von Topmanagern promoviert. Sie ist Gründerin und Inhaberin eines Coaching-Ausbildungsinstituts und freiberufliche Coachin. Dazu hat sie sich mit Weiterbildungen zur Klärungsorientierten Psychotherapeutin und klinischen Hypnosetherapeutin qualifiziert. Dr. Karin Gudat arbeitet heute als Psychologische Psychotherapeutin in eigener Praxis mit Schwerpunkten in der Verhaltenstherapie und der Hypnotherapie. Vor ihrer Niederlassung war sie als Coachin tätig. Sie hat sich intensiv mit Themen um Personalauswahl und Work-Life-Balance beschäftigt.
Das Set mit 120 Karten und Booklet wird in einem stabilen Karton bereitgestellt. Auf der Rückseite sind knappe Erläuterungen zum Konzept zu lesen. Hierbei wird von sechs Motiven ausgegangen, die menschliches Verhalten steuern. Diese werden um vier Schemata ergänzt und weiter ausdifferenziert. Es fällt auf, dass die sechs Motive je eine unterschiedliche Anzahl an Karten umfassen. Vom Format her sind sie etwas größer als Spielkarten. Die Karten sind nummeriert und farblich je einem Motiv zugeordnet.
Das Booklet umfasst 61 Seiten. Diese verteilen sich auf vier Kapitel plus eine Seite mit Literatur. Es ist farbig gedruckt und mit eingerückten Beispielen sowie übersichtlichen Tabellen angereichert. Hier werden Glaubenssätze weiter aufgeschlüsselt und Möglichkeiten zur Anwendung im Coaching angeregt.
Die Autorinnen verstehen Glaubenssätze als Annahmen über sich selbst, über Beziehungen zu anderen und das Lebensumfeld. Diese sind durch Erfahrungen geprägt. Sie konzentrieren sich auf sechs Motive als Grundlage für Glaubenssätze. Diese sind Anerkennung, Wichtigkeit, Verlässlichkeit, Solidarität, Autonomie und Grenzen. Den Motiven werden vier Schemakategorien zur Seite gestellt. Dies wird im einführenden Kapitel dargelegt. Anschließend werden sie im Folgekapitel beschrieben. Der Einsatz der Karten soll dabei helfen, in der Arbeit mit Klientinnen und Klienten Auswirkungen von unreflektierten Glaubenssätzen auf Verhalten und Beziehungen zu verdeutlichen. Das letzte Kapitel mit Übungen zu den Karten beschreibt einerseits das Erkennen, andererseits das Verändern von Glaubenssätzen, z.B. durch Imaginationsübungen oder den Einsatz der Wunderfrage.
Collatz und Gudat nähern sich dem Thema auf systematische, ja analytische Art und Weise. Obwohl sie die Auswahl der Motive nicht explizit begründen, ist ihr Ansatz spürbar wissenschaftlich fundiert. Die Grundlegung mit Motiven und Schemata gibt nützliche Orientierung. Insbesondere für das Erkennen und die Herausarbeitung von Glaubenssätzen im Coaching bieten die Karten einen guten Zugang. Bei den Strategien zur Veränderung von Sätzen gibt das Booklet einige Anregungen und Ideen mit. Dennoch bleibt es an dieser Stelle zu wenig greifbar. Konkret wird es der Komplexität für eine erwünschte Nachhaltigkeit in der Bearbeitung und Veränderung von Glaubenssätzen nicht gerecht. Für diesen Schritt im Coaching wären mehr Breite und Tiefe als Handreichung für den Coach wünschenswert.
Fazit: Die Autorinnen stellen mit den 120 Karten und ihrem Konzept der Motive und Schemata einen hilfreichen und fundierten Ansatz für die Arbeit im Coaching vor. Sie geben dem Coach eine Landkarte an die Hand, mit dessen Hilfe er mit den Klientinnen und Klienten durch nicht ganz einfaches Gelände navigieren kann. Das Set bieten einen sehr praktischen Zugang für das Herauspräparieren von Glaubenssätzen – für alle Menschen. Und vielleicht könnte der Zugang, dass sich ost- und westdeutsch geprägte Menschen über ihre jeweiligen Glaubenssätze austauschen, das wechselseitige Verständnis vertiefen.
Torsten Ferge
Coach und Supervisor
www.ferge-coaching.de