Daniel Berndt

Professionalisierungsbestrebungen im Coaching. (Re-) Konstruktion von Forschungsansätzen

Rezension von Thomas Webers

4 Min.

"Die spätmoderne Gesellschaft ist längst zu einer beratenden Gesellschaft geworden", konstatiert Professor Dr. Dr. Rolf Haubl von der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, der Doktorvater dieser Dissertation im Geleitwort und schließt an: "Aus professionstheoretischer Sicht hat man es mit dem ‚Scharlatanerieproblem‘ zu tun." Daniel Berndt untersucht daher die Professionalisierungsbedürftigkeit und die Professionalisierungsfähigkeit von Coaching. Verwissenschaftlichung ist dafür eine wichtige Voraussetzung. Doch wer hat Interesse daran?
Professionalisierungsbedürftigkeit ist eine logische und daher notwendige - aber keine hinreichende - Bedingung für Ansatzpunkte zur Professionalisierung. Erst durch die Klärung der Professionalisierungsfähigkeit von Coaching wird dessen Professionalisierung erklär- und umsetzbar (S. 3), so der Autor, der seine zentrale Forschungsfrage folgendermaßen definiert: "Wie müsste Coaching beforscht werden - sprich: die Anreicherung akademischen Wissens aussehen -, um einen nachhaltigen Beitrag für Wissenschaft, Praxis und damit die Professionalisierung von Coaching zu leisten?"
Hier geht es um ein Forschungsprogramm. Die Leserschaft sei an dieser Stelle allerdings gewarnt. Der Autor versteht es, in langen, sprachlich kompliziert konstruierten Sentenzen die Leser so zu beschäftigen und schläfrig zu schreiben, dass man die Mühen einer Promotion nur allzu leicht nachvollziehen kann: Das ist eine anstrengende und anspruchsvolle Sache, ohne Sitzfleisch wird das nicht gelingen. Erst nach 90 Theorieseiten zeigt der Autor filigran, wie er mit der Orientierung an der Grounded Theory in problemorientierten Experteninterviews (n=7) eine Stakeholderanalyse produzieren kann. Die Ergebnisse werden über viele Seiten mit zahlreichen Zitaten und - den Rezensenten immer wieder teilweise irritierenden - wertenden Kommentaren dargelegt. Leider werden die Quellen im Anhang nicht anonymisiert abgedruckt, man hätte sich dann ein eigenes Bild machen können.
Anschließend werden die Interviewten mit vier exemplarischen Studien zu ausgewählten Trends im Coaching konfrontiert. Die Themenbereiche: "Kurzzeit-Coaching", "Messbarkeit", "Wirksamkeit" und "Matching". Bei allen Themen, so zeigen die Interviews, besteht Forschungsbedarf. Bislang existiert zu viel "Beraterlatein" und zu wenig Evidenzbasierung.
Weshalb gibt es überhaupt Professionalisierungsbestrebungen im Coaching, fragt der Autor? Auch hier schließt sich wieder eine Stakeholderanalyse an: Wer hat Interesse an einer Professionalisierung im Coaching? Coaches, nationale Verbände und Organisationen haben zusammen genommen ein relativ geringes Interesse an Professionalisierung, hält der Autor fest (S. 198). Sie behaupten und "verwalten" Qualität. Warum sollten sie das Qualitätsversprechen durch Forschung, die ja immer kritisch ist, anzweifeln lassen? Coaching-Ausbilder und die Gesellschaft haben das größte Erkenntnisinteresse an Wissenschaft, Praxis und Professionalisierung gleichermaßen. Sie müssen sich befragen lassen beziehungsweise haben ein eigenes Interesse am Verbraucherschutz. "Personenzentrierte Berufe wie Coaching stecken in einem Professionalisierungsdilemma zwischen Ausdifferenzierung und Klientenzentrierung", konstatiert der Autor lakonisch. Wie wird sich das also zukünftig darstellen?
Es werde dem Leser drei Szenarien präsentiert: (1) Professionalisierung auf der Basis des Status quo - da wird es beim Flickenteppich bleiben, lediglich Klienten und Auftraggeber haben ein Interesse an Qualität und Evaluation. (2) Beschleunigte Professionalisierung - da müsste marktseitig oder durch Initiative des Staates Druck erzeugt werden, aber dieser ist derzeit nicht in Sicht. (3) Ohne Professionalisierung - ein denkbares, wenn auch von vielen nicht gewünschtes Szenario, der Markt reguliert sich selbst, das heißt, niemand reguliert; es werden lediglich Leistungsversprechen abgegeben, doch die Erfüllung kann nicht wirksam kontrolliert werden. Unter Abwägungen der Effekte kommt der Autor zum Schluss, dass Szenario 1 das wahrscheinlichere ist. "Indes brennt durch eine langsame Professionalisierung oder Aussetzung des Professionalisierungsprozesses erstmal nichts an: Coaching wird es weiterhin geben, jedoch ohne sein Potenzial umfänglich entfalten zu können" (S. 248).
Der Leser hält mit dieser Dissertation keine leichte Lektüre in der Hand. Der Autor selber kritisiert seine eigene schmale empirische Basis. Es werden sich daher eher Leser aus dem akademischen Umfeld - und eventuell einige Verbandsfunktionäre - einfinden.
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