Astrid Schreyögg, Christoph J. Schmidt-Lellek

Konzepte des Coaching – Handbuch für die professionelle Praxis. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Rezension von Thomas Webers

5 Min.

Da ist er wieder, der Genitiv: "Konzepte des Coaching". Fragt sich nur, welcher? Ach, das wussten sie nicht, werte Leser, dass es da verschiedene gibt? Im Genitiv stehen Wortgruppen, die ein Besitzverhältnis ausdrücken. Tja, und da gibt es immer zweierlei Sichtweisen: Den genitivus absolutus und den genitivus relativus. Ein adverbialer Genitiv (auch genitivus absolutus genannt) ist eine Nominalphrase im Genitiv, die als freie Angabe etwas über die Umstände eines Geschehens aussagt. Im heutigen Deutschen kommt er hauptsächlich in erstarrter Form vor, zum Beispiel: sehenden Auges. Oder für unsere Zwecke gewendet: Konzeptionelle Umstände (Anlässe, Indikationen, Voraussetzungen, Begleiterscheinungen etc.) des Coaching. Im Relativgenitiv wird hingegen - umgekehrt - die Formationsbasis mit dem Formationsanhang verglichen. Also in unserem Fall: Konzepte, die im Coaching angewandt werden (können). Wir sehen uns also hier einem Titel gegenüber, der sozusagen lässig vom Standbein auf das Spielbein wechseln kann, also mindestens ambivalent daherkommt.
Trickreich! Insbesondere für den ersten Band einer Sonderheftreihe. In diesem Fall der Zeitschrift "Organisationsberatung - Supervision - Coaching" (OSC). Finden Sie das verwirrend? Nun, um ein Buch zu beurteilen, wäre ja hilfreich zu wissen, welche Zielsetzung es hat. Werden wir Konzepte aus der Profession serviert bekommen (Best of Coaching)? Oder serviert uns die Herausgeberschaft allerlei anderweitige Spezereien, die dem Anwender hilfreich sind, um gut Coachen zu können (Anregungen, Nachhilfe, Feuerschutz?) Nun, schauen wir uns doch einmal das Inhaltsverzeichnis an. Wir finden vier Teile vor: "Coaching als Managementberatung" eröffnet das Buch. "Coaching in Relation zu anderen Beratungsformaten" stellt den zweiten Teil dar. "Philosophische Implikationen von Coaching" bildet Teil 3. Und um "Coaching als Profession" geht es im vierten Teil. Verstehen Sie? Mönch oder Nonne: Das können Sie halten wie ein Dachdecker!
Fangen wir mit dem ersten Teil an. Unter den fünf Beiträgen sticht sofort der erste heraus: "Zur (sozialen) Konstruktion von Führung". Natürlich sollte ein Coach wissen, worum es bei Führung geht, was die Konzepte sind - und der letzte Stand. Und wir ahnen die Botschaft der Herausgeber: Darum wissen nicht alle im Feld. Also Nachhilfe: Souverän vorgetragen von Thomas Lührmann. Ebenfalls lesenswert ist der letzte Beitrag in diesem Block vom Kienbaum-Manager Achim Mollbach: "Anforderungen an den Coach. Funktionsorientiertes Coaching von Unternehmensführern in mittleren Unternehmen."
Der zweite Teil dreht nun den Spies um. Herausgeberin Astrid Schreyögg fragt: Wie viele "Brillen" verwenden Berater? Metadiagnostische Kompetenz ist hier das Stichwort - neben einer Entscheidung für eine wertorientierte Haltung. Wenn Ferdinand Buer für ein friedliches Zusammenspiel von Coaching, Supervision und anderen Formaten plädiert, sollte man dem "Hütchenspieler" immer mal wieder auf die Finger klopfen. Nur die Hälfte seiner Argumente zieht, aber sie werden so emphatisch-plakativ vorgetragen, dass man glauben darf, er nimmt den Streit dann sicher sportlich. Eher zäh bis langweilig lesen sich die Beiträge von Ko-Herausgeber Christoph Schmidt-Lellek zur Divergenz und Konvergenz von Coaching und Psychotherapie sowie von Claudia Winter zum Vergleich von Mediation und Coaching.
Teil 3 steigt hinab in die philosophischen Implikationen von Coaching. Ein weites Feld, das hier nur kursorisch angerissen wird. Ferdinand Buers Beschäftigung mit dem Pragmatismus John Deweys überzeugt nicht wirklich. In späteren Veröffentlichungen mag er da vielleicht präziser argumentieren. Doch die wenigen Kollegen, die in diesem Diskurs mithalten wollen, oder können (!), werden den hier präsentierten Entwurf eher nicht wirklich goutieren. Was allerdings, auch das muss einmal gesagt werden, ein wichtiges Zeichen ist: Es fehlt in der Breite die ausgewiesene philosophische Kompetenz im Coaching-Feld. Dafür überwiegt bei Weitem die Anzahl der "Flachschwimmer". Wenn sich im Weiteren Ko-Herausgeber Christoph Schmidt-Lellek zur "dialogischen Beziehung" äußert und dann im Speziellen den Sokratischen Dialog in den Fokus nimmt, mag man zunächst denken: Gut gebrüllt Löwe. Ein Heimspiel für den theologisch ausgebildeten Autor. Doch neu ist das Thema nun nicht gerade wirklich. Und man hätte es auch ganz anders anzetteln können: Von Martin Buber über Gregory Bateson et cetera. Zum Schluss setzt uns Jochen Koch noch die Krone auf: Er erforscht die Bedeutung postmodernen Denkens für Organisationstheorie und Organisationsberatung. Damit wird dann alles noch ein wenig komplizierter. Ob Coaching damit auch ein wenig erhellender wird?
Coaching als Profession, der vierte Teil, rückt einen wichtigen Diskurs in den Mittelpunkt: Ist Coaching eine Profession? Kann sie es sein oder werden? Und was bräuchte es dafür? Hier gibt Ko-Herausgeber Christoph Schmidt-Lellek nun einmal eine durchaus lesenswerte Anleitung. Wenn dann zum Schluss Eric Lippmann kurz, knapp und präzise zeigt, warum die Parole von der "Führungskraft als Coach" unsinnig ist, ist das erhellend -aber auch nichts Neues.
Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Oder: Was bringt dieses Buch dem Leser? Nun, wir bekommen Konzepte aus der Profession serviert: Best of Coaching. Übrigens sind 13 von 15 Beiträgen schon zuvor in der OSC erschienen und wurden hier (teilweise überarbeitet) nachgedruckt. Der älteste Beitrag (von Astrid Schreyögg) stammt aus dem Jahr 1994 (und wurde für diese Ausgabe überarbeitet). Nur zwei Beiträge sind wirklich neu; darunter der von Achim Mollbach. Und wir bekommen ebenfalls diverse Anregungen, Nachhilfen und vielleicht auch einen mentalen "Feuerschutz", um Coaching professionell anzuwenden. Soweit so gut.
Oder schlecht. Denn dieses Buch verlangt seinen Lesern ein gewisses intellektuelles Niveau ab. Was die Kollegen aus dem Life-Coaching-Sektor betrifft, können wir da beruhigt sein. Sie werden das Buch nicht lesen (oder nur mit äußersten Anstrengungen verstehen können). Was die intellektuelle Kollegenschaft betrifft, können wir ebenso beruhigt sein: Man kennt sich und die Argumente der Gegenseite schon länger. Und die wissensdurstigen Praktiker, Novizen und erfahrenen Alten Hasen der Szene? Da mag man dann lässig vom Standbein auf das Spielbein wechseln… Oder zurück. Mönch oder Nonne: Sie können das halten wie ein Dachdecker…
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