Konrad Elsässer

Ein Coach nimmt Maß: Ein Handbuch. Frankfurt: Dielmann.

Rezension von Dr. Walter Schwertl

4 Min.

Der Titel lässt an Maßgeschneidertes denken. Die kundenspezifische, exklusive Prozessgestaltung ist heute im Business-Coaching zwar als State of the Art propagiert, aber keineswegs immer realisiert. Maß nehmen signalisiert die Nähe zum Schneider, zum Schuhmacher und anderen Handwerkskünsten. Dieser Satz könnte auch auf Rezepturen (Maße der Köche) schließen lassen. So viel sei verraten, darum geht es nicht. Es ist kein Rezeptbuch für Coaching (mit allzu oft falschen Mengenangaben), sondern ein Buch, das zum Denken, den Diskurs über die Handwerkskunst, über passende Messungen anregen kann. Das Maß hilft beim Unterscheiden, es schafft Unterschiede.
Damit wird das Beobachtete griffig, bietet Anreize und provoziert Diskurse. Ein Beispiel: Unter Verweis auf die Vorsokratiker ist von panta rhei (alles fließt) die Rede, dann wird ein Bogen zum bekannten Anglizismus "You can’t push the river" gezogen. Man ist geneigt zu widersprechen und darauf zu verweisen, dass unsere Kunden häufig keine Wahl haben, als den Versuch zu machen, den Fluss anzutreiben. Das Buch öffnet also Diskussionsräume. Die Literaturangaben sind solide und honorabel. Leider, und dies ist bedauerlich, sind sie nach Kapiteln gestückelt, mit laufenden Nummern versehen und daher schwer zu finden.
Mit Freude kann man lesen, dass der Autor nicht auf den Zug des Glaubens an psychologische Testverfahren, also das methodisch und ethisch höchst zweifelhafte Vermessen der Mitarbeiter, aufspringt. Immer wieder finden sich auch Einzelsätze, die herausragen und in ihrer Klarheit einen Gewinn darstellen. Zum Beispiel dieser Satz auf Seite 82: "Ein Prozess kann geplant werden, aber Planung und Durchführung differieren kategorial und grundlegend." Wie viele Fehler ließen sich verhindern, wie viele Enttäuschungen vermeiden, wenn dieser Satz mit seinen Konsequenzen immer Beachtung fände. Kein Rezept, nur ein einfacher Satz, aber im Coaching ist er zwingend zu beachten.
Als polemischer Kritiker von Anglizismen (bio break für Coffee to-go) entdeckte ich zwar unendlich viele dieser Wortgetüme. Sie wirkten aber in ihrer Einbettung, in eine von Metaphern geschmückte deutsche Sprache, wie notwendige Fachbezeichnungen. Die Weisheit der deutschen Sprache richtig benutzt, ist diese offensichtlich dazu in der Lage, der Sprachzerstörung dieser Wortungetümer aus Denglischgestammel Einhalt zu bieten.
Coaching ist eine Dienstleistung durch das Wort, sie bedarf, sollte sie exzellent sein, einer entsprechenden Kommunikationsleistung. Dieses zweihundertfünfzig Seiten starke Buch, hoch verdichtet geschrieben, ist wunderbar zu lesen, man merkt, der Autor beherrscht, wovon er schreibt. Teilweise elegante Sprachspiele wie von Zugehörigkeit, zu jemand gehören bis in Hörweite sein, lassen immer wieder aufhorchen. Viele Sätze haben den Duktus von "Als Coach mache ich… tue ich. Man fühlt sich zu dem Hinweis genötigt, es gäbe doch mehrere Wege zu widersprechen. Irgendwo auf dieser Lesestrecke verliert sich dieser Wunsch nach Widerspruch. Der Autor beschreibt sein Maß. Dieses ist wohlbegründet und nicht beliebig. Aus dem Impuls zum Widerspruch wird Neugierde, letztlich Nachfrage, und damit die Chance zum Diskurs.
Am Beispiel von Raumerfahrung - Verantwortung für Räume, Öffnung von Räumen - wird deutlich, welch ein Reichtum an Fragen sich aus sechs gut geschriebenen Seiten gewinnen lässt. Man beginnt zu verstehen, welche Sprach- und Denkräume nötig sind, um einen Coaching-Prozess auf Fragetechniken stützen zu können. Drei Standardfragen, immer wieder mechanisch eingesetzt, sind eben ein zu stumpfes und einfältiges Werkzeug. Zahlreiche Beispiele demonstrieren, wie der Autor sein Denken, seine Maße mit den Angeboten der Kunden verknüpft und damit darstellt, was Co-Produktion (M. L. Staubach) meint.
Das Buch bietet eine interessante Beschreibung von Business-Coaching: Coaching und seine Methoden dienen der (Wieder-) Herstellung von Spiel: Also dem Halt und der Leichtgängigkeit, der notwendigen Bewegungsfreiheit und dem verbindlichen Kontakt. Die (Wieder-) Herstellung des Wechsels von Spiel zu Festigkeit und umgekehrt lässt an Gregory Bateson (Die Ökologie des Geistes) denken.
Um die anfängliche Metapher nochmals aufzunehmen: Das Werk ist eine tief greifende Reflexion über die mehr als zweitausend Jahre alte Kunst des Consultantentums, aber es bietet keine immer gültigen Rezepte mit Bildchen für des Lesens Unkundige. Leicht pathetisch: Ein Meister seines Fachs hat hier Einblick in sein Denken und seinen Horizont gewährt. Er kann sich dies leisten. Senior-Coachs, Ausbilder, (Qualitäts-) Einkäufer und all jene, die ihre Ausbildung ernst nehmen, können daran ihre Freude haben. Ich wünsche diesem Buch: qualifizierte Diskurse, ständiger Begleiter seiner Leser zu werden, und ehrenwerte Kritiker.

Dr. Walter Schwertl

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