Babak Kaweh

Das Coaching-Handbuch für Ausbildung und Praxis. Kirchzarten: Vak.

Rezension von Thomas Webers

6 Min.

An ein Handbuch für Ausbildung und Praxis stellt man hohe Ansprüche. Schließlich sollen damit Aspiranten des Coachings nicht nur in den Grundlagen der Profession instruiert, sondern auch in den schwierigen Situationen begleitet und vorbildlich beraten werden. Manch einer soll auch merken, wie hoch die Latte der Ansprüche liegt und sich ehrlich prüfen können, ob er den Anforderungen gerecht werden kann und/oder will.
Babak Kaweh verspricht eine umfassende Darstellung der vielfältigen Aspekte des Coaching. Und liefert lediglich eine Sammlung vielfältiger Tools: Einen Karteikasten. Was fehlt, ist die verbindende, orientierende Theorie, sind Konzepte, sind wissenschaftliche Erkenntnisse, ist die Guiding Hand, die den Novizen leitet und ihm vermittelt, welche Konzepte in welchen Situationen hilfreich sein können und warum - oder warum gerade nicht; oder welche Alternativen es geben würde. Das ist mehr als bedauerlich! Wie sagte schon weiland Paul Watzlawick: Wessen einziges Instrument ein Hammer ist, der findet auf der ganzen Welt nur Nägel!
Das Buch folgt einer klaren Logik, die auf der Seite 15 vorgestellt wird. Das Buch ist unterteilt in die Bereiche: Was ist das? Für wen? Wofür? Worum geht es? Wie läuft es ab? Was bringt es? Wer macht das? Dieser Teil I wird dann jeweils durch dekliniert - nach gleichem Muster; mindmap-mäßig. Man stelle sich das wie eine Moderationswand vor: Ein Stichwort. Und der Autor sondert dazu einen, wenn’s hoch kommt drei oder mehr Sätze ab. Dann wird verwiesen auf den nächsten oder den übernächsten Teil, um dort weitere Ausführungen zu lesen: Eine Hypertextstruktur. - Nichts gegen Hypertext. Nur springt man in diesem Buch nicht so leicht von einem Teil in den nächsten: Es gibt keine Griffmulden, keine Farbkodierung - wenn man das einigermaßen einfach handhaben will, muss man mit mehreren Lesezeichen arbeiten. Also: kompliziert. Und nicht immer einfach: Vor allem, wenn dann ein Stichwort im ersten Teil anders heißt als im zweiten (Definitionen, Modelle und Methoden) oder dritten (Checklisten, Akronyme und
Fragen)... Dann sucht man sich den berühmten "Wolf". Oder wirft das Buch entmutigt und zornig in die berühmte Ecke.
Aber auch im Fließtext kommt man sich vor, als ob man soeben ein Lexikon liest: Stichworte, Stichworte, Stichworte - und wo bleibt der verbindende Sinn? Der Rezensent bedauert sehr, keinen gefunden zu haben. Stattdessen hagelt es Checklisten und Akronyme. Wissen oder ahnen Sie, was L.E.I.T.E.R. sein kann oder soll? Nun, dieses Akronym steht für "Leiden - Entwicklungsgeschichte - Identifizierte Person - Target - Effekte - Ressourcen", ist ein Konzept zur Auftragsklärung und stammt von Martina Schmidt-Tanger. Völlig unklar bleibt, warum gerade diese Schritte in der Auftragsklärung gegangen werden müssen/sollen bzw., was passiert, wenn man die Schritte vertauscht oder andere wählt. Keine Theorie, kein Plan - womit jetzt primär Martina Schmidt-Tanger gar nicht angegangen werden soll; aber der Autor Babak Kaweh. Was soll das? Besteht etwa die ganze Welt nur aus Akronymen? Vielleicht für NLPisten. Dort bedient sich der Autor äußerst freizügig und möchte offenbar, dass die Leser das ebenfalls übernehmen - oder warum besteht das Buch zum größten Teil aus diesem Stoff? Es gibt - zum Glück - auch differenziertere Weltsichten als solche kleingeistige Rezept-Maggelei: Man nehme fünf Buchstaben - und schon ist die Welt wieder in Ordnung… Heilig‘s Blechle!
Nun rezipiert der Autor nicht nur den Content anderer, er produziert auch eigenen: Beispielsweise das "Tetralogische Holon". Wow! Was für ein Wort, es klingt geheimnisvoll, fundiert und verspricht Erkenntniserweiterung. Und soll ein neuartiges Persönlichkeits(betrachtungs)modell sein. Wer sich in der Persönlichkeitspsychologie etwas auskennt, wird hier sicher sofort stutzen und sich binnen weniger Sekunden die Augen reiben: "Beobachtungen in der Praxis zeigen mir vier Aspekte der Persönlichkeit und vier ‚Quell-Richtungen‘…". Heißt übersetzt: Der Autor steht in keiner wissenschaftlichen Tradition, sondern beruft sich auf seine eigene singuläre (fehlbare, und damit spekulative) Praxis und legt sich die Welt wie folgt zurecht: Es gibt vier Hauptrichtungen (Tetaronen) und jeweils sechs Unterteilungen. Das Holon soll Anlehnung an Fred Gallo, den Begründer der Energetischen Psychologie, ein Bündel von Störungen sein. In Teil II wird das dann ausgeführt und gekrönt mit einer umfangreichen Tabelle, die das "Tetralogische Holon" mit anderen Konzepten vergleicht, beispielsweise mit den vier Grundformen der Angst nach Riemann: schizoid, hysterisch, depressiv, zwanghaft; oder mit dem MBTI. Nicht, dass das jetzt erklärt würde, warum das jetzt verglichen wird und was man daraus lernen soll, wo Gemeinsamkeiten oder Unterschiede bestehen (geschweige denn: Risiken und Nebenwirkungen), ebenfalls nicht bei den weiteren über 50 anderen Konzepten. Der Leser hat im Gegenteil eher den Eindruck, das geschieht hier nach dem Motto: Reim‘ dich, oder ich fress‘ dich! Was sollen beispielsweise die vier Blutgruppen damit zu tun haben, oder die vier chinesischen Elemente? - Oder waren es nicht vielmehr fünf Elemente? Autor Kaweh unterschlägt das fünfte Element Holz schlicht! Was nicht gerade Vertrauen in seine "Kunst" erzeugt. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, Kaweh wollte seinem Vorbild Ken Wilber folgen und einmal so richtig auf die konzeptionelle "Sahne" hauen. Das scheint ihm gelungen zu sein - die Küche muss nun allerdings grundsaniert werden. Wir erkennen hier nur Spekulation vom Feinsten, aber keinerlei konzeptionell gediegene und empirisch überprüfte Arbeit.
Es ist bedauerlich, aber unumgänglich zu sagen: Diese Buch ist eine Zumutung - im abwertenden Sinne gemeint. Es bleibt völlig unklar, wie ein Novize mit Hilfe diese Buchs einen Coaching-Prozess planen oder durchführen können soll. Der etwas erfahrenere Coach wendet sich hingegen mit Grausen ab. Oder was würden Sie nun tun, wenn Sie lesen: "(…) alles hat zwei Seiten, es kommt allerdings darauf an, das Richtige (Hervorhebung: BK) zu tun. Diese Sicht hat ihren Ursprung im Judentum, im alttestamentarischen Christentum und im Islam" (S. 127)? Worin soll denn der "höhere Sinn" dieses Nonsense bestehen? Das ist doch schlicht nur "Fluff", wie der NPList sagt, sprachlicher Verpackungsmüll. Unverständlich bleibt auch die Vorstellung des Konzepts der "neurologischen Ebenen" (S. 161). Diese NLP-Konzept von Robert Dilts, das sich angeblich auch Gregory Bateson beziehen soll (aber nicht tut), wird von Klaus Grochowiak, dem der Autor zu Beginn des Buchs eine Danksagung widmet, radikal demontiert. Beim Schüler Kaweh scheint davon nichts angekommen zu sein. - Einfach: Schade.
So könnte man fortfahren, wenn es nicht zu ermüdend wäre. Teil III listet dann in bekannter Weise ohne erläuternde Instruktionen zahlreiche "Checklisten" auf. Es folgt ein kurzes Literaturverzeichnis und ein solches der Coaching-Verbände. Ärgerlich ist zudem, dass die 2. Auflage von 2008 gegenüber der Erstauflage von 2005 nicht überarbeitet worden ist. So tummeln sich hier noch allerlei veraltete Daten. Ebenfalls finden wir ein Stichwort- und ein Namensverzeichnis vor.
Fazit: Es soll überhaupt nicht über die beraterischen Kompetenzen des Autors geurteilt werden, darüber steht uns kein Urteil an. Dieses Buch allerdings ist wirklich nicht zu empfehlen: Es ist ein planloses Sammelsurium, angereichert mit allerlei Spekulationen, die einer empirischen Überprüfung kaum standhalten werden: Typische Beraterliteratur, weder für Anfänger (Ausbildung), noch für Fortgeschrittene (Praxis) hilfreich.
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