David Rock, Linda J. Page

Coaching with the Brain in Mind. Foundations for Practice.

Rezension von Dr. Konrad Elsässer

4 Min.

Man kann niemand in den Kopf sehen. Es nutzt auch nicht, einem Toten den Schädel aufzuschneiden und nachzusehen, wie sein Gehirn aussieht. Rock & Page erzählen das berühmte Fallbeispiel des Indianers Ishi, dem letzten Überlebenden des Yahi-Stammes, dessen Gehirn aufgeschnitten worden war. Obwohl darüber viel publiziert worden ist, stellen sie gleich zu Beginn ihres Buches fest, dass die mechanistische Auffassung, Gehirn sei gleich Verstand, überholt ist. Es geht ihnen umgekehrt darum, wie der Verstand das Gehirn nutzt und formt.
Von daher auch der Titel: Coaching with the Brain in Mind. Er lässt sich unterschiedlich übersetzen, am besten ins Umgangssprachliche: Coaching mit dem Hirn im Kopf. Korrekter wäre: Coaching mit dem Gehirn im Geist, was aber ziemlich gestelzt klingt. Sachlich angemessener wäre: Coaching, das auf die Gehirnfunktionen achtet. Die Grundthese des Buches ist: Neuroplastizität und Coaching sind parallele, sich wechselseitig verstärkende Prozesse. Und nicht nur das: Auch die neurowissenschaftlichen Entdeckungen und die praktische Entwicklung des Coaching sind in den letzten 20 Jahren parallel, aber eher nebeneinander verlaufen. Rock und Page führen sie jetzt zusammen.
Diese Zusammenführung geschieht auf geniale Weise: Die fünf Teile des Buchs mit jeweils drei Kapiteln bauen sich in gleicher Weise auf: Bedrock, Pillar, Neuroscience Platform - Grundgestein, Stütze, Plattform. Die fünf Teile des Buches sind:

1. Wer sind wir?

2. Wie können wir gesund sein?

3. Warum tun wir, was wir tun?

4. Wie können wir uns besser fühlen?

5. Wie können wir weiter kommen?
Auch wenn es in der Komprimiertheit einer Rezension etwas verwirren mag, soll doch dieser Aufbau wiedergegeben werden. Er ist nicht nur in sich schlüssig, sondern erweist sich auch bei der Lektüre als ausgesprochen einleuchtend.
Die den fünf Teilen entsprechenden "Grundgesteine" sind also 1. die Ontologie (westliche und New Age Philosophie, Anthropologie, Soziologie und zusammengefasst: Ontologie als Grundgestein für Coaching). 2. Die Gesundheitspraktiken. 3. Psychologie. 4. Psychotherapie. 5. Management. Die fünf Stützen sind dann, wieder den einzelnen Teilen entsprechend: 1. Soziale Einbettung. 2. Leistungssteigerung. 3. Gehirnübungen (oder besser übersetzt, es heißt: activating the mind, müsste also Geistes-Übungen heißen!). 4. Akzentuierung des Positiven; 5. Führung (leadership). Und schließlich sind die fünf Plattformen: 1. Achtsamkeit. 2. Neuroplastizität. 3. Kognition. 4. Emotionen. 5. Neuro-Führung (Neuro Leadership).
Selten habe ich bei einem Buch den Aufbau dermaßen transparent und hilfreich erlebt. Bei der Lektüre selbst kann man ihn gänzlich vergessen oder außer Acht lassen. In den einzelnen Teilen entfaltet sich vielmehr jeweils mit spielerischer Leichtigkeit und zugleich mit profunden Kenntnissen ein Aufbau, eine Wissenskonstruktion: Ausgehend von allgemeineren, philosophischen oder historischen Grundlagen entfalten die "Säulen" tragende (und belastbare) Konstruktionselemente, die für das Coaching unmittelbar von Nutzen sind (z.B. Systemtheorie - hier nicht nach Luhmann, sondern von von Bertalanffy und amerikanischen Theoretikern ausgehend formuliert: Ausgesprochen interessant für deutsch geprägte Systemiker zu lesen! - Stress, Placebo-Effekt, Aufmerksamkeit, Lerntheorie, gelernter Optimismus, emotionale Intelligenz, soziale Netzwerktheorien und so weiter). Die Plattformen gehen dann wieder eher in die Weite, bieten aber direkte und einsetzbare Anregungen für die Coaching-Praxis. Sie sind, weil sie eingebettet sind in einen schlüssig entfalteten theoretischen Kontext, denn auch nützlicher als manche Sammlung von Coaching-"Instrumenten" (tools).
So bietet das Buch einerseits ein Coaching-Kompendium. Alle wichtigen Quellen, Anstöße und Theorien für Coaching sind zusammengetragen - die Leser vermissen keine wichtige Tradition. Man spürt die amerikanische Perspektive. Sie liest sich anregend, sie trägt über die Konstruktionselemente des Aufbaus. So ist die Gesamtdarstellung knapp, kenntnisreich, präzise. Die Verbindung mit der Gehirnwissenschaft buchstabiert sich Kapitel für Kapitel aus. Sie erscheint nicht immer überraschend, was vielleicht zeigt, wie vieles davon schon in unser Alltagswissen eingegangen ist. Aber andererseits ist die starke Betonung der Neuroplastizität dann doch auch verdienstvoll - und für die Coaching-Praxis jedenfalls eminent wichtig!
Zum Buch gehört ein gutes Sachregister (Index). Sein Titel könnte auch lauten: "Coaching with the Mind in Hands": Ein Handbuch vom Anfang bis zum Ende. Es sei allen in die Hand gewünscht, die Coaching praktizieren - und englisch lesen!

Dr. Konrad Elsässer

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